Vom
Cyberspace zum Klamath See,
die Jagd nach der Wahrheit über blaugrüne
Algen enthüllt eine verborgene Ökologie.
3.
Fakten durch Telefonate
Verzweifelt versuchte ich, mit einem Elektro-Ingenieur namens Mark Thorson zu sprechen. Er war Stammgast in verschieden Usenet-Newsgruppen, offensichtlich ein Internet-Oldtimer. Und ein äußerst wichtiger Mitspieler sowohl in der Geschichte der Super Blue Green Algae als auch im Internet. Aber er antwortete auf meine Emails nicht.
Ich suchte Kontakt zu ihm, weil ich nach einem Review von Usenet-Postings mehrerer Jahre zum Thema blaugrüne Algen feststellte, dass Cell Tech mit seinem Ausdruck "Erwiderung auf Falschinformationen im Internet" eigentlich meinte "Erwiderung auf Mark Thorson."
Thorson ist eine Ein-Mann-Anti-Cell Tech-Propagandamaschine. In beinahe jedem einzelnen Fall, in dem während der letzten vier Jahre ein Cell Tech-Händler in den Newsgruppen sci.med.nutrition oder misc.health.alternative eine Nachricht postete, tauchte Thorson in einer flammenden Cut-and-Paste Aktivität mit Fakten zu den gesundheitlichen Gefahren in Verbindung mit blaugrünen Algen auf.
Mein Ziel ist es, Cell Techs Missbrauch des Internet für kommerzielle Werbung zu stoppen," schrieb Thorson. Er signierte seine Nachricht: "Wir sind das Internet. Wir schützen und wir dienen!"
Thorson nahm seine Kampagne ernst. Nachdem er Wayne Carmichaels Artikel in Scientific American gelesen hatte, verbrachte er viele Stunden in der Medizinischen Bibliothek der Universität Stanford. Er erhielt Cell Techs Akte der FDA. Er erstellte detaillierte Vergleiche zwischen den in einer Tagesdosis Super Blue Green Algae enthaltenen Nährstoffmengen, Aminosäuren und Mineralien und "herkömmlicher Nahrung" wie Bananen oder Eiern. Mit Neurobiologie als Hauptstudienfach spottete er über die Behauptungen, die Konsumenten von blaugrünen Algen würden ihre Energiesteigerungen dem Glykogen, Neuropeptid oder B-12 verdanken. Er war überzeugt, dass blaugrüne Superlagen den pharmakologischen Wirkstoff Anatoxin-A enthalten, der als Stimulans wirkt. Er schrieb, dass ihn die Algen "entspannten", als er sie selbst probierte.
Schließlich rief er mich Samstags abends an - und weigerte sich dann zu reden. Er erklärte mir, dass er bald gezwungen sei, in einer Rechtsstreitigkeit wegen Algen eine eidesstattliche Aussage machen zu müssen. Vor dieser Aussage würde er weder offizielle noch inoffizielle Erklärungen abgeben.
Später fand ich heraus, dass diese Aussage mit einer Klage wegen Körperverletzung zusammenhing, die Samuel Fineman aus Pennsylvania gegen Cell Tech erhoben hatte. Laut der Prozessakten klagte Fineman, ein Insulin abhängiger Diabetiker, dass er "kurz nach Einnahme" der Super Blue Green Algae unter "schweren und gesundheitsschädlichen Wirkungen litt, unter anderem Wetterfühligkeit der Haut, beidseitige Gefühllosigkeit in Armen und Händen sowie an Beinen und Füßen." Außerdem wurde in der Klageschrift der Vorwurf erhoben, Cell Techs Präsidentin Marta Kollman habe es bei einer Nachfrage "abgelehnt [Finneman] Informationen und/oder Hilfe bezüglich seiner Symptome zur Verfügung zu stellen."
Sowohl Fineman als auch dessen Rechtsanwalt verweigerten einen Kommentar zu dem schwebenden Verfahren. Auch andere Algenexperten mit Kenntnis der Details verweigerten eine Kommentierung, genau wie Frau Kollman, die mir jedoch sagte, dieses Gerichtsverfahren, das sie als das Erste in der 14-jährigen Cell Tech-Geschichte bezeichnete, sei "lächerlich."
Lächerlich oder nicht, dieser Rechtsstreit war die Geschichte hinter der Story mit den "Falschinformationen", der bisher fehlende Bezug. Ich war nicht in der Lage, im Internet die Erklärung zu Cell Techs defensiver Webseite zu finden. Und obwohl der Rechtsstreit im Internet nicht zu finden ist, zeigt sich ironischerweise, dass er dennoch durch das Web sehr stark geformt wurde. Mehrere mit der Klage vertraute Personen stimmten darin überein, dass Finemans juristische Strategie auf Nachforschungen und im Internet gesammelten Informationen beruhte - eine einfache Erklärung für die Geldträume eines notleidenden Klägers.
Mehrere Tage nach meinem kurzen Gespräch mit ihm rief Thorson erneut an. Er sagte, Cell Tech habe seine Bemühungen, ihn unter Strafandrohung vorzuladen, aufgegeben. Er war nun gesprächiger.
Thorson ist überzeugt, dass er bei Cell Tech Wirkung ausübte: "ich denke, dass ich sehr effektiv gewesen bin. Die Newsgruppen zur Alternativmedizin und Nahrung werden nicht mehr so oft missbraucht, wie dies zum Beispiel 1995 der Fall war. Es ist da draußen in Bezug auf Algen sehr ruhig. Ich kann wochenlang warten, bis jemand etwas postet."
Zumindest ein Cell Tech-Händler gab zu, dass Thorsons Postings dazu führten, dass er sich fragte, ob er wirklich blaugrüne Algen konsumieren soll.
"Wenn das Web nicht gewesen wäre, wüsste ich nicht, was ich heute machen würde," sagt Ralph Castro, ein Psychologe aus Long Island. "Anfangs dachte ich, dass diese Energiegefühle, die man durch die blaugrünen Algen verspürt, von den Nährstoffen kommen. Nun glaube ich aber, dass es da einen psychopharmalogischen Effekt gibt. Aber ich bin nicht ganz sicher. Alles was ich darüber weiß habe ich im Internet gelesen."
Thorson glaubt zu wissen, warum so viele Menschen Cell Techs Umsatz in die Höhe treiben: Er glaubt, sie könnten abhängig sein.
"Mir kam es eindeutig wie ein Stimulans vor," sagt Thorson und beschreibt seine eigene Erfahrung. "Es gab mir das Gefühl zu Schwimmen oder durch die Luft zu fliegen... Ich weiß, dass Menschen dies genießen möchten."
Nach der Unterhaltung mit Thorson sah ich Puzzleteile, die zueinander passten. Was allein durch das Internet sichtbar war - dieses Festival der Streitereien - bot lediglich eine unbehagliche Reflektion der Offline-Realität. Aber es zeigte sich, dass es da eine neue Kraft neben der traditionellen Informationsdynamik gab. Ein flammender Krieg im Internet... ein Showdown im Gerichtssaal. Es gab keine wirkliche Trennlinie. Der Prozess würde Algen-Experten, Cell Tech-Führungskräfte und Internet-Fliegen zusammenbringen. Das Internet erleichterte eine Ökologie der Information, die keine Grenzen kennt, weder virtuelle noch reale.
Aber nun war ich von dem Durchstöbern alter Usenet-Postings und den "nicht-zum-mitschreiben" Telefongesprächen frustriert. Ich sehnte mich nach direkteren Informationen.
Ich kaufte blaugrüne Algen und begann Tabletten zu schlucken. Und wirklich, da schien etwas zu passieren. Ich fühlte mich aufgedreht, sogar etwas überdreht. Ich hatte mich selbst davon überzeugt, dass da eine Art biochemische Reaktion abläuft. Ich konnte es innerlich fühlen.
Aber auch dies reichte nicht aus. Ich hatte das Netz durchstöbert und alle Telefonate geführt. Die Zeit war gekommen, um zur Quelle zu reisen - in die Stadt, die die Zeit vergessen hatte: Klamath Falls.
4. Vor Ort in Klamath Falls
Einst verfügte Klamath Fall über eine florierende Holzwirtschaft. Am südlichen Ende des Klamath Sees gelegen, profitierte die Stadt auch sehr stark von den Gleisen der Southern Pacific Railroad, die sogar eine profitable Nebenstrecke zu den größten Sägemühlen betrieb. Die Stadt ist gespickt mit riesigen Kühlhäusern, die ursprünglich einmal Lagerhäuser für die Produkte waren, die per Eisenbahn aus dem riesigen Central Valley in Kalifornien herangeschafft wurden.
Heute gehören alle Kühlhäuser in Klamath Falls dem Unternehmen Cell Tech, und die Lagerhäuser sind statt mit Getreide und Salatgurken nun mit gefriergetrockneten Algen gefüllt. Klamath Falls ist heute nur noch ein Schatten von einst. Die meisten Sägemühlen sind geschlossen und die Stadt wurde von dem Bau der Interstate 5 etwa 70 Kilometer weiter westlich schwer getroffen. Das Geschäftszentrum von Klamath Falls ist voller verbretterter Geschäfte und alter, zerfallener Hotels. Unter der Woche ist die Stadt ab 20 Uhr eine Geisterstadt, ähnlich dem Ort eines ruchlosen Kultbetriebes - wie einige Cell Tech-Gegner (und einige von Cell Techs Konkurrenten) das Unternehmen bezeichnen.
Cell Techs Hauptsitz ist jedoch frisch gestrichen und in gutem Zustand und liegt voller Stolz mitten im Stadtzentrum. Das ungewöhnlich aufwendige und mit ägyptischen Verzierungen geschmückte Gebäude war einst eine Ford-Niederlassung und ist nur eines von 14 Cell Tech-Gebäuden in Klamath Falls. Cell Tech ist mit 600 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber in Klamath Falls und verfügt über einen beachtlichen Einfluss in der Stadt.
Erkennbar ist dieser Einfluss nördlich der Stadt, etwas oberhalb des Sees. Dort wurde ein kleiner Hügel für die neue, konsolidierte Cell Tech-Firmenzentrale abgeholzt. Mit dem Bau wurde noch nicht begonnen, aber eine nagelneu gepflasterte Straße windet sich auf den leeren Hügel hinauf. Die Strasse wurde zu Ehren des Goldmedaillen-Gewinners im olympischen Zehnkampf 'Dan O'Brian Weg' genannt. Cell Techs Präsidentin Marta Kollman erklärte mir, dass O'Brian zur Oberliga der Algen-Esser zählt.
Dazu zählt auch Kollman, die ein Reihe von Cell Tech-Produkten in ihrer Schreibtisch-Schublade stapelt und die keine Gelegenheit auslässt, ein Loblied darauf zu singen. Blond, mittleren Alters, charismatisch und vor Temperament übersprudelnd, erschien mir Kollman auf den ersten Blick wie ein typischer Verkaufsprofi, der geschickt hartnäckigen Fragen ausweicht, aber sehr ausführlich und mit großem Enthusiasmus über die vielen Aspekte der Super Blue Green Algae-Produktion spricht. Erst nach einem Viertel des zweistündigen Rundgangs durch Cell Techs Betriebsanlagen bemerkte ich, dass sie ihren blaugrünen Lidschatten wie einen Ehrenorden trägt. Noch später, als wir einen Raum betreten hatten, der an das Labor von Cell Tech grenzt, wurde die volle Wahrheit zu Kollmans Ernsthaftigkeit in bezug auf Algen ganz deutlich: sie stürzte sich auf einen Plastikkanister mit Algenpulver, der auf einem Tisch zurückgelassen worden war.
Während sie mir erklärte, dass dies die Probe eines neuen Algen-Produktions-Prozesses war, schraubte sie schnell den Kanister auf, nahm eine tiefe Brise, und mit vor Entzücken glänzenden Augen reichte sie ihn dann mir. Der Geruch der gefriergetrockneten Algen ist, wie Kollman selbst zugibt, eine "Geschmacksrichtung für Kenner" - ein herbes Aroma, mehr nach einem abgestandenen Teich duftend als nach einem Gesundheit spendenden Geschenk der Natur. Aber der Geruch ist für Kollman alles andere als herb - sie konnte den Freudenschauer kaum verbergen, der durch ihren Körper ging, als sie den Kanister zurückstellte.
Vor meinem Besuch in Klamath Falls war Cell Tech für mich ein amorphes Abstraktum. Die hochtrabenden Produktansprüche der Cell Tech-Händler machten auf mich den Eindruck ausgeprägter Abzocke - Rhetorik von Handelsreisenden mit Quacksalberprodukten. Aber nachdem ich die ganze Palette der Cell Tech-Abläufe gesehen habe und in Kollmans ultra-komfortablem Mercedes chauffiert wurde, fing ich an, die Firma in einem neuen Licht zu sehen.
Die Super Blue Green Algae sind gewerblich gesehen ein großes Geschäft. Während Cell Techs kleinere Konkurrenten die Algen mit besonders dafür entworfenen Lastkähnen und kleinen Boten von der Wasseroberfläche des Sees aus ernten, hat sich Cell Tech entlang eines Kanals breit gemacht, über den das Wasser des Sees abgelassen und mittels Kanälen in Bewässerungssysteme in Süd-Oregon und Nord-Kalifornien eingeleitet wird. Die Algen werden direkt aus dem Kanal geerntet. An dem Tag meines Besuchs fischte Cell Tech etwa 200.000 Pfund grünen Glibbers aus dem Kanal, indem mechanische, rechteckige Zahnstangen die Algen herausschaufelten und in ein gewaltiges System von Rohren, Zentrifugen, Gefriersysteme und sonstige Produktionssysteme einspeisten.
Cell Tech wirkt für alles algenspezifische wie ein Magnet. Tatsächlich weilten doch während meines Besuchs die Algen-Experten Wayne Carmichael und Don Anderson, die ich im Internet aufgespürt hatte, in Klamath Falls und arbeiteten für Cell Tech. Anderson, der Direktor des Nationalen Büros für Marine Biotoxine und für Gesundheitsgefährdende Algenblüten an der Woods Hole Oceanographic Institution testete die Algen auf Neurotoxine, während Carmichael nach Spuren anderer Belastungen der Algen suchte - nach den gefürchteten Microcystinen.
Hinweise auf Microcystin hatte ich während meiner Online-Recherchen gesehen, aber unter Tausenden von Fakten fielen sie mir nicht besonders auf. Nach den Gesprächen mit jenen Menschen, deren Hände im Wasser des Klamath Sees wirklich nass werden, fand ich heraus, dass in der Welt der Kommerzialisierung der blaugrünen Algen dem Microcystin das vorrangige Sicherheits-Interesse gilt. Microcystin ist eine möglicherweise lebensgefährliche Belastung der Algen - und dann und wann kommt es im Klamath See vor.
Im Sommer 1996, genau auf dem Höhepunkt der Ernte, entdeckte Jacob Kann, ein von den Klamath Indian Tribes angestellter Gewässer-Ökologe, eine "giftige Blüte" der Microcystin-Algen im See. Aus Gründen, die auch für Algenkundler nicht vollständig nachvollziehbar sind, können die Belastungen der Algen plötzlich in einem Schnellwachstum oder während der "Blüte" sprunghaft ansteigen. In einigen Fällen, besonders bei Microcystin-Algen, ist die dabei entstehende Algenflut für Tiere und Menschen giftig.
Kann alarmierte die Gesundheitsbehörde von Oregon. Die Algen-Erntemaschinen wurden gestoppt, obwohl jene, die auf dem offene See ernteten, behaupteten, dass sie die gefährlichen Bereiche meiden könnten - Cell Tech hatte diese Option nicht, das Unternehmen muss nehmen, was auch immer durch den Kanal herunter kommt.
Kanada, Groß-Britannien und Australien fordern, dass das Trinkwasser nicht mehr als ein Teil pro Million an Microcystin enthält. In den U.S.A. gibt es keine solche Vorschrift, aber die Gesundheitsbehörde von Oregon empfiehlt derzeit den gleichen Grenzwert. Duncan Gilroy, ein Toxikologe dieser Behörde, erklärte, dass er Microcystin-Werte von mehr als einem Teil pro Million "in Endprodukten aller Algen-Ernter" festgestellt hat.
Marta Kollman sträubte sich, über Microcystin zu reden. Repräsentanten einiger anderer Ernte-Betriebe haben erklärt, der empfohlene Grenzwert sei zu streng, aber Kollman lehnte es ab, dies zu kommentieren.
"Das ist zur Zeit die große Kontroverse," sagte Kollman. "Ich möchte wirklich nichts dazu sagen."
Kollman bemerkte, dass Cell Tech "drei unterschiedliche Tests" durchführt und nach Methoden strebt, um das Microcystin erfolgreich von den Aphanizomenon Flosaqua zu trennen. Und sie tat die Idee, dass jene, die auf dem offenen See ernten, die Problemzonen meiden könnten, geringschätzig ab. Sie sagte: "Das ist eine nette Theorie."
Kollman wollte noch nicht einmal zugeben, dass die Microcystin-Belastung der wunde Punkt im Geschäft mit den blaugrünen Algen ist. Indem sie Cell Techs Standard-Aussage rezitierte, dass "es keinen medizinischen Beweis gibt, dass jemand durch Super Blue Green Algae zu Schaden kam", erklärte sie zum wiederholten Mal ihr Vertrauen darauf, dass Cell Tech-Produkte "absolut sicher" sind.
Die Rolle Carmichaels, die Super Blue Green Algae zu testen, beruhigt Kann und Gilroy, denn er ist in der Welt der Algen eine respektierte Persönlichkeit. Dennoch bleiben Fragen. Wenn 200.000 Pfund Algen aus dem See geerntet werden, welcher Prozentsatz an Algen wird getestet? Und wie ist das mit den anderen Algen-Erntern - wie viele Prüfungen werden dort durchgeführt?
"Wir haben Zweifel daran, dass die Prüfungen risikogerecht sind," sagte Gilroy. "Und wir sind betroffen, wie undifferenziert die gesamte Industrie diesem Problem gegenübersteht."
5. Die Ökologie der Wahrheit
Der Klamath See dehnt sich im Norden von Klamath Falls über eine Länge von fast 45 Kilometern aus. Algen sind die dominierende Lebensform - zum Schaden anderer Geschöpfe. Jacob Kann, der Gewässer-Ökologe, zeigt sich betroffen, dass der Bestand an im See geborenen Fischen aufgebraucht ist. Landwirtschaftlicher Oberflächenabfluss überdüngt den See mit Nährstoffen, fördert das Algenwachstum und vernichtet alles andere. Kann ist zudem beunruhigt, dass dieser Überdüngungsprozess zukünftig noch häufiger zu giftigen Blüten führen kann.
Marta Kollmann behält, wie jeder gute Verkäufer, eine völlig sorglose Pose bei. Sie macht für die Microcystin-Blüte des letzten Jahres die für diese Jahreszeit ungewöhnliche Hitze verantwortlich. Für sie ist der See ein unermessliches Füllhorn.
"Das Großartige an den Algen ist, dass sie um so stärker wachsen, je mehr man davon erntet," sagte Kollman. "Wir machen uns keine Sorgen, dass sie uns ausgehen."
Ein Ausgehen der Bestände wäre eine Super Blue Green Katastrophe. Multilevel Marketing erfordert ein konstantes Wachstum. Cell Tech hat für die nahe Zukunft extravagante Ziele - Kollmans Ehemann Daryl hat die zur Zeit etwa 275.000 Cell Tech-Händler aufgefordert, ihre Zahl bis 1998 auf 3 Millionen zu steigern und auf 5 Millionen bis zum Jahrtausendwechsel.
Härtere Vorschriften des Staates oder der FDA könnten dieses Wachstum hemmen. Ebenso eine steigende Konkurrenz oder ein nachteiliges Urteil im bevorstehenden Rechtsstreit. Die Ökologie der Super Blue Green Algae hat viele Mitspieler - Toxikologen, auf Körperverletzungen spezialisierte Rechtsanwälte, aggressive Händler und sogar Stammgäste des Usenet. Sie schweben hin und her und um sich herum in einem schillernden und endlos frei beweglichen Muster, gerade so wie die Algen selbst.
Reflektionen dieses Musters können auch im Web gefunden werden, und ich entdeckte, wie das Web neue Wege schafft, die Mitspieler miteinander zu verbinden - in der Geschichte der Algen wie in jeder anderen. Die Information, die nicht notwendigerweise die Wahrheit ist, ist da draußen, wenn auch nicht immer gleich zu sehen. Und selbstverständlich immer durch versteckte Motive verzerrt.
Möglicherweise soll das sogar so sein. Möglicherweise sollten wir im Web nicht nach Antworten suchen, sondern nach Ausgangspunkten. Es ist auf jeden Fall unklug damit zu rechnen, dass in nicht allzu ferner Zukunft hübsch verpackte Pakete mit der absoluten Wahrheit zum einfachen Download im Web bereitliegen. Während meiner Algen-Odyssee hatte ich einige verrückte Tatsachen gesammelt. Ich wurde überzeugt, dass mit dem Verzehr der Super Blue Green Algae potentielle Gesundheitsrisiken verbunden sind. Es war aber auch vollkommen klar, dass Algen-Esser keine hoffnungslose Narren sind - dass sie etwas für ihr Geld erhalten.
Ich zum Beispiel bin dankbar, dass ich dem Pfad so weit folgte. Hätte ich es nicht getan, ich hätte niemals eine Wahrheit über diesen Teich-Abschaum gelernt: dass man ihn nicht auf der Oberfläche des Klamath Sees finden kann. Die tänzelnden grünen Fäden der Aphanizomenon Flosaqua sind voller Geheimnisse und Wunder des Lebens. Die Algen "Teich-Abschaum" zu nennen ist eine tödliche Beleidigung. Besser wäre es sicherlich, deren rastlose Komplexität als Metapher für Wahrheit anzusehen. Das könnte dem Zeug gerecht werden.
24. Juli 1997
Bitte lesen Sie auch:
Algen: Verlogene Produktansprüche und
Medienrummel
von Dr.
Stephen Barrett
Dokument erstellt: 10.03.2005
HOME